CHRIS BOETTCHER

Freischwimmer | 23.03.2018

Altrocker mit Poesie-Tourette

Vor Chris Boettchers parodistischem Talent war in Alitzheim keiner sicher. Auch Arnold Schwarzenegger nicht.

Zwei Mal schon war Chris Boettcher in Alitzheim. Das letzte Mal vor sieben Jahren. Da kennt er die überschaubaren Sehenswürdigkeiten von "Olzem" natürlich schon aus dem Effeff – und zwar nicht nur die DJK-Halle, dieses "Kleinod der fränkischen Barockbaukunst". Wen also wundert's ernsthaft, dass der Comedian für seinen dritten Auftritt hier ein Loblied auf dieses Örtchen verfasst hat, das Alitzheim in eine Reihe rückt mit den Metropolen dieser Welt. Kostprobe gefällig? "Der Eiffelturm ist zu banal, wir ha'm ein Storchennest aus Stahl." Selbst die heimische Tierwelt ist restlos begeistert: "Und abends zwischen sechs und acht, sag'n sich Fuchs und Hase gute . . . Atmosphäre hier."

So ist er, der Chris Boettcher. Die Ohren bekommen geradewegs Besuch von den Mundwinkeln, wenn er, sich auf dem Kuhflecken-Synthesizer selbst begleitend, das in Gedanken eifrig mitreimende Publikum gegen die Wand fahren lässt, während er stets im letzten Moment noch die Geschmackskurve kriegt. Denn nicht in jedem seiner Songs geht es um harmlose Füchse und Hasen, sondern auch schon mal um die unerfüllten sexuellen Fantasien einer Angela Merkel im Zoo der männlichen Polit-Alphatierchen. Das Schema ist stets das gleiche: Der vermeintliche Reim verspricht viel. Der wahre Text reimt sich zwar dann nicht mehr, bleibt aber sauber wie nach einem Hauptwaschgang mit Persil bei 90 Grad. Also wirklich, ihr Schelme da unten, wer wird den so was denken. Ts, ts, ts.

Kabarettist und Publikum gut drauf

Chris Boettcher ist bestens drauf an diesem Abend. Und das Publikum geht mit. Etwa, wenn er sich über intellektuell wenig anspruchsvolle Fernsehshows wie "Adam sucht Eva" echauffiert. "Man kann die schöne Landschaft gar nicht genießen wegen der ganzen Silikonendlager", frotzelt er: "Da sehnt sich der Zuschauer einen Tsunami herbei oder ein Comeback vom weißen Hai."

Oder er sinniert darüber, welche Wiesn-Hits die Prominenz wohl anstimmen würde, wenn sie sich auf dem Oktoberfest treffen würde. Der US-Präsident vielleicht, frei nach Tom Jones: "Sex Trump, Sex Trump, I'm a Sex Trump"? Sein ungarisches Pendant Viktor Orbán eventuell "Ein Zaun, der meinen Namen trägt"? Bedient sich Nordekoreas Kim Jong-un beim Fliegerlied: "Und ich schieß, schieß, schieß zu Dir 'nüber"? Legt Franz Beckenbauer gar seinen Uralt-Hit neu auf: "Gute Freunde, die kann man kaufen"? Fragen über Fragen.

Fränglisch mit Loddar Maddäus

Überhaupt, die Fußballer. Wenn Chris Boettcher sein parodistisches Können aufblitzen lässt, kommt endgültig Stimmung in die Bude. Wenn er Torwart-Titan Oli Kahn mit verkniffenem Blick diesen "wahnsinnigen, unglaublichen Druck" spüren lässt. Oder Loddar Maddäus beim Telefonsex in bestem Fränglisch mit der Dame am andern Ende der Leitung parliert: "Do you have much wood before the cottage? I'm a little lust-salamander." Die Übersetzung mag sich jeder selbst stricken, sie hat was mit Oberweite und hormongetriebenen Amphibien zu tun. Was wiederum die Lichtgestalt Franz Beckenbauer auf Loddars Stellengesuch als Arzt beim FC Bayern antworten lässt: "Die suchen einen Orthopäden, keinen Gynäkologen."

Doch mindestens so amüsant wie Boettchers komödiantischer Sportkosmos ist der politische oder der der alternden Rockstars. Schenkelklopfen ist garantiert, wenn er Udo Lindenberg karikiert. Schließt man kurz die Augen, könnte man glatt der Illusion erliegen, die DJK Alitzheim habe sich für diesen Abend ein Konzert mit dem nuscheligen Panikrocker gegönnt. Howard Carpendale, Hansi Hinterseer, Peter Maffay... Chris Boettcher hat sie alle. Andreas Gabalier etwa, dessen "Hulapalu" er mit einer Inbrunst seziert, dass Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki Gott-hab-ihn-selig seine wahre Freude daran gehabt hätte. Oder Herbert Grönemeyer, dem er "Poesie-Tourette" attestiert, weil: "Wenn ich mal verstehe, was er singt, verstehe ich nicht, was er meint."

Das "Freischwimmer-Programm"

In seinem aktuellen Programm "Freischwimmer" hangelt sich Boettcher mehr als zwei Stunden lang durch aktuell-brisante und allgemein-banale Themen. Der Dieselskandal kommt ebenso dran wie die Pubertät der Kinder ("Mit zehn bringst Du sie noch zum Schlittschuhlaufen, mit 15 holst sie ab vom Komasaufen"), der Heimatbegriff ("Heimat ist, wo Eltern noch Geschwister sind") oder Erlebnisse im Passfotoautomat. Und er fragt sich, ob sein Sohn durch seinen ach so normalen Namen Max nicht einen Knacks fürs Leben bekommen muss in einer Klasse mit all den Kotzbichler Shakiras und Fröschelmaier Brittneys.

Natürlich bekommen auch die Franken ihr Fett weg. Eine neue Fernsehsendung schlägt Boettcher vor, analog zum "Bergdoktor": Den "Frankendoktor". Denn was hat er nicht alles, der "kranke Franke": Er hat Hebadidis, Brosdada, Dinnidus, hadden Schduhl. "Der kranke Franke hat alles", stichelt der Oberbayer Boettcher: "Nur kein haddes b und d."

"Zehn Meter geh'" zum Abschluss

Die gefühlt 99,99 Prozent Franken in der nahezu ausverkauften DJK-Halle nehmen es dem Spötter nicht übel. Ganz im Gegenteil. Er bekommt von ihnen stehende Ovationen, kommt unter drei Zugaben nicht von der Bühne. Nach einer musikalischen Abhandlung zum Thema Seniorensex ("Im Nachtkästchen liegt noch ein Vibrator, und da neben Dir gleich der Defibrillator") haut Boettcher noch einmal in die Tasten und bringt seinen Klassiker "Zehn Meter geh'" – jene Persiflage auf die Modelshows, die er schon bei seinem ersten Alitzheim-Auftritt gespielt hatte und die längst ein Wiesn-Hit geworden ist.


mainpost.de | Matthias Endriss